Soul ist ein Italiener

15.07.2012 | Passauer Neue Presse | Katrina Jordan

Die federnden Holzplanken täuschen: das Straubinger Festivalzelt kann ein verdammt hartes Pflaster sein. Am frühen Freitagabend ist Partylaune ein Gut, das erkämpft werden will, die Gegner heißen Werktagsmüdigkeit, Vollbestuhlung und Regenwahrscheinlichkeit. Erfrischend, wenn sich eine Band davon so gar nicht beeindrucken lässt: Hier sind die Soul Rebels! aufstehen, los geht’s. Mit doppelter Schlagzeug-, Trompeten- und Posaunenbesetzung, Saxo- und Sousafon stemmt sich fröhlich hupender Marching-Band-Klang gegen die Feierabendbequemlichkeit.

Come on Straubing, move your body!

Ausgefeilte Texte, raffinierte Soli? Dürfen später die anderen machen. Come on, Straubing, move your body! Die Rebels sind nicht gekommen, um in Schönheit zu sterben, sondern um fette, scharfe Sets zu servieren – und diese Currywurst des Soul ist wie die echte in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen: rutscht immer, schmeckt allen und wärmt Leib und Seele.

Die gehobene Küche öffnet um halb neun: Mario Biondi zieht ein und mit ihm der europäische SterneSoul. Glutvoll, pechschwarz und immer ein bisschen verraucht füllt sein Bass das Zelt, dezent angereichert vom elegantkreativen Spiel der Italian Jazz Players. Vor der Bühne herrscht Gedränge, getanzt wird kaum – zu gepflegt ist der Groove, zu gewaltig die Andacht vor dem charismatischen Sizilianer und seinem verblüffenden Organ. Ungeachtet seiner enormen Tiefenstärke erreicht es auch eine faszinierende Höhe, bevor eine perfekt gestützte Kopfstimme übernimmt und weitere Oktaven öffnet. Die Italiener mögen den Soul nicht erfunden haben, aber sie wissen ihn ordentlich anzuziehen: In jeder Lage kleidet Biondis Stimme jedes Wort und jeden Ton zum Vorteil, jedes Stück adelt sie zum makellosen, schimmernden Ereignis. Eine Stunde verfliegt im Klangrausch, die Menge brüllt nach Nachschlag. Arrividerci, Straubing, ciao – und ein Buh für die Roadies, die für den nächsten Gang umrüsten.

Der klingt vielversprechend: Wie spannend muss es sein, wenn Biondi auf eine Elektro-funk-Bombe wie Incognito trifft? Der Appetit wird leider mit gerade mal einem Häppchen abgespeist. Nur für einen gemeinsamen Song betritt der Maestro noch einmal die Bühne, ein kurzer, wenn auch großer Genuss: Denn mit Bluey Maunicks Acid-Maschinerie im Rücken weicht der gebürstete Maßanzug Jazz tanzbarer Lässigkeit, wo vorher Schimmer war, blitzt jetzt der Strass – und Incognito lässt für ein paar Minuten den kühlen ClubChic beiseite und den Sexappeal an die Luft. Bitter, dass es davon nicht mehr gibt. Darüber trösten weder die optisch wie stimmlich hinreißenden Sängerinnen Natalie Williams und Vanessa Haynes hinweg, noch der deutschstämmige Jung-Zugang Mo Brandis, der mit seidig-verspielter Popstimmeund strahlkräftigem Auftritt einen herausragenden Job macht und eine überragende Version seines für Tim Bendzko geschriebenen Hits „Nur noch kurz die Welt retten“ singt. Es bleibt der Beigeschmack, dass Incognito live musikalisch nur wenig zu bieten, was nicht auch auf Platte zu kriegen ist.

Zum Glück kann man Ernüchterung wegblasen. Wenn man Troy Andrews heißt, die Posaune schon im Kindergarten dabei hatte und eine Musik so voller Saft macht, dass sie eigentlich an der Zeltplane kondensieren müsste. Vom harten Pflaster ist längst nichts mehr übrig, wo „Trombone Shorty“ wandelt, gibt es nur roten Teppich, die GrooveNation empfängt ihren König. Straubing, ick liebe dick! Für Straubing gibt er Tremoli, bis ihm die Augäpfel fast aus dem Kopf springen, für Straubing zaubert er harten Funkrock und butterzarte Standards, für Straubing singt er „On The Other Side Of The Straße“, und zwar zum Verrücktwerden schön. Ein königliches Vergnügen – und ein Dessert, das alles andere nach Vorspeise aussehen lässt.